Es gibt nur eine Sache in Kuba, die es immer gibt. Nichts. Nichts gibt es überall und zu jeder Zeit. Außerhalb der Peripherie der großen Luxushotels und Urlauberhochburgen herrscht in Kuba der Mangel. Der Mangel an Geld, der Mangel an Lebensmitteln, der Mangel an Luxus, der Mangel an Transportmöglichkeiten und natürlich der Mangel an Demokratie. Über letzteres wurde schon oft genug ausführlich berichtet, deswegen werde ich mich auf die vorhergehenden Punkte beschränken.
Der Mangel an Geld:
Wie ich schon berichtete, liegt das kubanische Monatsgehalt irgendwo zwischen 12 und 40 CUC, also ca. 10 bzw. 35 Euro. Eine recht eindrucksvolle Berechnung eines Freundes zeigte mir, was man damit anstellen kann. Bevor ich weiterschreibe eine Bitte: Überlegt euch, wieviel der Anteil an Lebensmittel am monatlichen Nettoeinkommen in eurem Haushalt ungefähr beträgt. Ich bin bei einer sparsamen Berechnung auf ca. 15 Prozent gekommen. Jeder sollte aber bitte selbst schnell überschlagen. Danke
Fertig? Okay, los geht es. Wir rechnen mit einer kubanischen Familie mit einem Kind und zwei Einkommen im Haus.
Frühstück: Sechs kleine Brötchen und eine Tüte Sojajoghurt = 3,60 Pesos
Snack: eine kleine Guavenpastete, ein Eis oder ein paar Kekse. = 15 Pesos
Mittag: drei Pizza de Queso in der Schule, auf Arbeit, etc. (Die Pizza hat 15 Zentimeter Durchmesser und ein Gewicht von 203 Gramm. Also wirklich ein Snack) = 15 Pesos
Abendessen: Ein Pfund Hühnchen, ein Pfund Reis, Ein Pfund Bohnen, Getränke (bisher ausgelassen) = 40 Pesos
In Summe also 73,60 Pesos. Mal 30 Tage macht: 2208 Peso im Monat. Rechnen wir weiter damit, dass beide recht gut verdienen, also ca. 700 Pesos im Monat (28 CUC). Einkommen = 1400 Pesos, Ausgaben (für Essen) = 2208 Pesos. Hoppla! Peter Zwegat wäre entsetzt und würde mit belehrender Miene über seine kleine Brille den verschwenderischen Schuldner anschauen. „Sie verdienen zu wenig“, würde er sagen. Dumm nur, dass man nicht mehr verdienen kann. Ein hochqualifizierter Uniprofessor geht mit 800 Pesos nach Hause. Die einzige Möglichkeit: Im Tourismus arbeiten, etwas selbstgemachtes, geerbtes oder sich selbst verkaufen, auf dem schwarzmarkt handeln oder einen LKW erben. Wie ein durchschnittlicher kubanischer Haushalt um die Runden kommt? Ich weiß es nicht. Ich habe gefragt und die immer selbe Antwort war: „Wir wissen es auch nicht. Wir verkaufen manchmal etwas. Man kann 5 Jahre in Kuba leben und die Frage immer noch nicht beantworten.“
Der Mangel an Luxus:
Der Mangel an Luxus ist eigentlich kein Mangel. Man kann nur etwas bemängeln, das man vermisst, braucht gezeigt bekommt. Es gibt nur den Wunsch nach Luxus. Den Wunsch, irgendwann ein Fahrrad kaufen zu können, der Wunsch irgendwann in einem Hotel Urlaub machen zu können, der Wunsch ein sorgenfreieres Leben führen zu können.
In die Kategorie Luxusgüter zähle ich alles, was nicht zu Lebensmittel, Wohnen, Gesundheit und Hygiene zählt. Ein Beispiel: Ich wünsche mir eine Hängematte um die heißen kubanischen Sommernächte außerhalb meines Hauses verbringen zu können. Hängematten gibt es natürlich nicht. Gut für CUC in einem CUC-Geschäft vielleicht, aber über Preis und Qualität in solchen Geschäften habe ich schon geschrieben. Ich brauche: Haken, Seile, zwei Holzlatten. Haken: gibt es nicht. Wenn ich sage, gibt es nicht, dann meine ich: Gibt es nirgendwo zu kaufen. Unter der Hand, vielleicht. Aber man muss lange suchen. Seile: Fehlanzeige. Nirgendwo zu kaufen. Holzlatten? Im nächsten Wald zum Selbstsammeln, -schälen und -verarbeiten. Damit ist die Hängematte gestorben. Nächster Luxus: Schuhe. Ja gibt es. Gibt es auch für kubanische Peso. Recht teuer, halten ca. vier Wochen. Man kennt einen Schuster, der einem gute macht: Glück gehabt. Man hat Freunde, Verwandte im Ausland oder Touristen, die einem welche schenken: Glück gehabt. Man kennt keinen Schuster, hat keine Kontakte zu Ausländern? Pech gehabt.
Mangel an Lebensmitteln:
Dafür gilt es mehrere Sachen zu bedenken: 1. Supermärkte gibt es nicht. Es gibt Läden in denen es viele sachen gibt, die jedoch in CUC zu bezahlen sind, unverhältnismäßig teuer sind und von miserabler Qualität sind (Frühstücksfleisch, das nach Katzenfutter riecht (schmeckt), Toilettenpapier ohne Perforation und Wäscheleinen, die abfärben.). Um diese Läden machen wir inzwischen einen großen Bogen. In addition gibt es noch Läden, in denen man mit kubanischen Pesos einkaufen kann und sich „Super-Markt“ schimpfen. Das Angebot: Minzbonbons, Sojajoghurt in Tüten mit echten Sojagetreidestückchen, drei Sorten Rum, zwei Sorten Limonade, eine Sorte Bier, Streichhölzer, kubanische Zigaretten, Instant-Hühnerbrühe von Maggi, Maismehl, Tomatensauce, Wermut und Kekse. Das ist das gesamte Angebot. Diese zwölf Produkte werden in Regalen angeboten, die einen ca. 50 m² großen Verkaufsraum abgrenzen. Die gähnende Leere der Regale passt gut zur Leere des Verkaufsraums. Denn da das Angebot ähnlich klein wie teuer ist, sind Kunden der größte Mangel des Ladens.
2. Gemüse- und Obstmärkte gibt es. Sie bieten die breite Palette der aktuellen kubanischen Ernte an. Gemüse: Salat, Zwiebeln, Knoblauch, manchmal Kartoffeln, Weißkohl, ab und zu Möhren und grüne Tomaten. Obst: Guaven, Ananas, seit kurzem noch grüne Orangen und mit viel Glück Bananen. Natürlich gibt es nicht an jedem Stand alles zu kaufen. Am selben Stand an dem es gestern noch Zwiebeln, Kartoffeln, Guaven und Ananas gab, gibt es heute Zwiebeln, Bananen, Guaven und Knoblauch. Ein gutes hat es: Obst- und Gemüse ist, für unsere Verhältnisse, spottbillig. Demnächst soll es auch orange Orangen und Mangos geben. Wir freuen uns schon darauf.
Alles andere, was es nicht in oben besagten Läden zu kaufen gibt wird schwarz angeboten. Das reicht von Hühnchen und kleinen Pasteten über Schnur bis hin zu selbstgegossenem Kinderspielzeug aus Plastik. Die ertragreichste Methode gut einkaufen zu gehen ist also, sich zwei drei Stunden in der Abendzeit auf die Straße in einem der Wohnviertel zu setzen und zu warten. Kommt ein Mensch mit einem großen Beutel, Eimer oder Karton vorbei schaut man ihn an und wartet bis er einem zuruft, was er anbietet. Das ganze ist so ein bißchen wie beim Autoquartett. Dreimal zieht man eine Karte, die einem gar nichts nützt, doch beim vierten Versuch erwischt man den Mann mit Butter, Limonadepulver oder Fleisch, das einem gerade ausgegangen ist. Die erfahrenen Kubaner kennen allerdings ihre Verkäufer in ihrem Wohnviertel und wissen, wer was verkauft. Auf ein Signal hin schauen sie aus dem Fenster erkennen den Seifenverkäufer und sagen ihm was sie brauchen. Er verkauft auch meist nur an Leute, die er kennt, den natürlich ist der Straßenverkauf verboten. Wird er von der Polizei erwischt verliert er eingenommenes Geld und all seine Ware. Zudem droht eine Strafe.
Auf diesem Weg versorgen sich die Kubaner in Kuba. Hätten wir nicht schon ein paar kubanische Freunde, die uns bei unsere „Einkäufen“ helfen würden, kämen wir oft mit leeren rucksäcken nach hause. Und wieder einmal übertrifft die unkomplizierte Hilfsbereitschaft der kubanischen Bekannten das komplizierte Versorgungssystem des ohnehin schon komplizierten kubanischen Staatssystems.
Mangel an Transport:
In Havanna gibt es Busse. Alte klapprige Busse. In Varadero gibt es schöne neue chinesische Busse. Für Touristen. Im restlichen Kuba gibt es auch Busse. Alte holländische, die oben an der Frontscheibe noch die alte holländische Route stehen haben, oder alte Mercedes-Busse, die noch das orange Piktogramm mit dem kleinen Kind, das von einem größeren kind an der Hand geführt wird tragen. Alte ausrangierte Busse, aus der alten Welt, die dort schon längst der Umweltplakette oder dem TÜV zum Opfer gefallen sind. Aber ihre Zahl ist begrenzt. Da es weder Ersatzteile noch eine funktionierende staatliche Busflotte gibt, hat sich der kubanische Staat etwas großartiges einfallen lassen. Man erlaubt einfach LKW-Besitzern, ihre 50er jahre Trucks umzubauen und Passagiere zu befördern. Diese müssen natürlich selbst für Ersatzteile und Sprit aufkommen, dürfen aber auch die Fahrpreise behalten. Aus den Augen aus dem Sinn. Nun fahren die raren Dinosaurier mit Passagieren gefüllt, dieselrußend über die kubanischen Straßen. Fahrplan? Wenn man Glück hat. Hat der Fahrer keine Lust, bleibt er liegen. Schließlich hat er eine Fahrt mehr oder weniger nicht nötig. Dann fällt die Fahrt halt aus. Ist er der einzige, der auf seiner Route verkehrt, kann es problematisch werden. Eine andere Möglichkeit ist, per Autostopp zu fahren. In jeder Stadt gibt es (früher gelb-, nun blaugekleidete) Beamte, die Autos anhalten und ihnen wartende Passagiere zuweisen. Eine Anhaltepflicht haben allerdings nur Wagen mit blauem Nummernschild, die dem Staat gehören. Oft genug weisen aber auch diese mit einer Handbewegung, dass sie schon voll sind oder nur eine kurze Strecke fahren. (Siehe unser Ausflug nach Gibara und das Warten in Auras)
Der Mangel hat Kuba in seinem Griff. Er bestimmt das tägliche Leben und formte diese einzigartige Gesellschaft von kleinen Geschäftsleuten in einem System, das sich Sozialismus schimpft. Im sozialistischen Kuba gibt es für das deutsche Wort Freund viele Bezeichnungen: Amigo, Companero, Compay oder auch Socio. Die Kubaner beschreiben es treffend, wenn sie sagen: Wir leben nicht in einem „Socialismo“ sondern im „Sociolismo“. Somit bekommt auch die umgewandelte Parole an der Flughafenmauer eine ganz neue Bedeutung: „Sociolismo o Muerte!“. „Nützliche Freunde oder Tod!“ Der Mangel formte die kubanische Gesellschaft mehr, als sie Che Guevaras Idee vom neuen Menschen jemals formen konnten. Denn im Gegensatz zu Guevaras Wunsch ist der Mangel ein realer Begleiter.
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