Freitag, 27. März 2009

Der Flug

Nichtsdestotrotz kamen wir gut in Frankfurt an. Unsere Fahrradkartons sprengten jedoch jeden Gepäckwagenrahmen. Seitlich aufgelegt ragten sie links und rechts ca. 60 cm über. Das war am Aufzug noch kein Problem, bei der Rolltreppe nach DIN-Maßen war jedoch Schluss. Wir stellten sie aufrecht, was jedoch den nachteil hatte, dass ich hinter 2 Metern Fahrradkarton meine Fahrstrecke nicht mehr sah. Ich schwang also meinen Kopf von links nach rechts, immer an den Paketen vorbei, wie das Pedel einer Kuckucksuhr. Der Check-In lief unspektakulär. Als wir zu unserem Gate liefen sahen wir, dass bei unserer Maschine das Triebwerk noch geöffnet war. Nichts ungewöhnliches.
14:45 Uhr: Wir bestellten uns ein Bier an der letzten Bar auf deutschen Boden. Wir zahlten sportliche 4,20 für eine 0,33 l Flasche Bitburger. Der Start war für 15.20 Uhr angesetzt.
15.15 Uhr: Wir entschieden uns, den Abflugbereich zu betreten.
15.16 Uhr: Eine Durchsage erschallte: “Der Abflug von Condor DE3196 verschiebt sich wegen technischer Probleme um eine Stunde.” Nach dieser Nachricht gönnten wir uns ein Bier.
15. 45 Uhr: Aus einem wurden zwei, da das Triebwerk nach einer Stunde noch immer offen stand. Um besagtes Triebwerk hatten sich sechs Mechaniker versammelt. Zwei hatten die Hände in den Taschen, zwei zuckten mit den Schultern und zwei schüttelten den Kopf. Ein beruhigendes Zeichen, wenn man einen elfstündigen Flug vor sich hat.
16.20 Uhr: Ich merke, wie sehr ich rauchfeie Flughäfen hasse.
16.30 Uhr: Das Triebwerk ist noch offen. Inzwischen stehen nur noch zwei Mann um das Triebwerk herum plus einer auf einer Leiter, der wie ein Gynäkologe bis zur Körperhälfte im Triebwerk steckt. Einer der beiden Bodenständigen hält die Leiter. Der Gynäkologe der Gruppe sieht aus als wöllte er sagen: “Die 8er Muffe an der Schwipp-Schwapp-Pumpe ist porös. Die muss raus. Ausserdem ist die Kreiselschraube locker, die muss gewechselt werden.”
16.50 Uhr: Ganz unerwartet beginnt das Boarding. Die Stimmung der restlichen Gäste nähert sich dem Gefrierpunkt. Wir sehen aufgrund diverser Getränke die Situation recht entspannt.
17.05 Uhr: Wir sitzen an unserem Platz. Über die Beinfreiheit kann man nicht meckern, es gibt nämlich keine. Ich sitze direkt hinter den Tragflächen am Fenster, Rüd rechts neben mir. Folglich sitze ich in Flugrichtung links. In Summe so nahe wie nur möglich an dem Triebwerk, das bis vor ein paar Minuten noch offen stand. Ich betrachte meine Situation mit dem biergegebenen Pragmatismus: Sollte das Ding hochgehen erfahre ich es noch vor dem Piloten und bin durch umherfliegende Trümmerteile mit einem schnellen Tod gesegnet, während Rüd neben mir schrecklich verstümmelt und schreiend in die Tiefe stürzen würde.
17.06 Uhr: Der Pilot entschuldigt sich standesgemäß für die Verspätung und teilt uns im gleichen Atemzug mit, dass einer der drei Bordcomputer Spirenzchen macht und sich deswegen der Abflug um noch ein paar Minuten verzögert. Normalerweise würde das Problem durch einen Reset des Computers immer sofort behoben. Während der paar Minuten Wartezeit erklärt uns der Pilot den Grund für die Verzögerung: Ein Ventil am linken Triebwerk war undicht. Es gab einen minimalen Ölverlust.
Es gibt drei Dinge die man nie in seinem Leben hören möchte:
Platz 3: Freundin: “Schatz, ich glaube, ich habe die Pille vergessen.”
Platz 2: Hausarzt: “Also an Ihrer Stelle würde ich mir keine Vorratspackungen mehr kaufen. Wer weiß, ob Sie die noch aufbrauchen.”
Platz 1: Pilot vor einer Atlantiküberquerung:
“Wir hatten einen miiiinimalen Ölverlust am Triebwerk. Wir haben das Problem gestern festgestellt und eine Dichtung getauscht. Jetzt sollte alles okay sein.”
Bei einem 179 Tonnen schweren Gebilde, das in 10.000 Metern Höhe mit einer Geschwindigkeit von 900 km/h fliegt und aus 15.000 Einzelteilen besteht, die alle vom billigsten Anbieter sind, möchte man mehr hören als ein: “Jetzt sollte alles okay sein.”
17.25: Wir rollen zur Startbahn. Es geht endlich los. Nein. Der Pilot teilt uns entrüstet mit, dass der Bordcomputer noch immer spinnt und getauscht werden muss. Der Start wird sich noch ein Weilchen verzörgern. Aufgebrachtes Schweigen. Leises Protestieren. Die deutsche Form des Sreiks. Die tolerante ältere Nachbarin vom Sitzplatz 33F gibt zu Bedenken: “Nee, das kann doch wohl nicht wahr sein. Heißt das etwa, dass die Toilette jetzt auch nicht funktioniert? Soll ich mir da jetzt meine Einwegwindeln anziehen oder was?” Ein kluger Einwand, den es zu Bedenken und abzuwägen gilt. Besonders in ihrem Falle. Sonderlich kontinent sieht Frau Windel nämlich nicht mehr aus. Der Tausch des Bordcomputers geht erstaunlich schnell. Wir vermuten, dass der Tausch darin bestand, den alten Bordcomuter auszubauen und sich auf die Verlässlichkeit zweier fernöstlicher Bordrechner zu berufen.
18.00 Uhr: Wir starten mit zweieinhalbstündiger Verspätung.
ca. 20 Uhr: Die Bordcrew lässt verlauten, dass sie eine kleine Entschuldigung vorbereitet hat. Ich denke mir: “Ah, die rechnen also mit sowas.” Toll. Man serviere jetzt einen Cocktail auf Wodka-, Gin-, oder Camparibasis. Natürlich durchschauen wir sofort den perfiden Plan der hinter diesem verlockenden Angebot steckt. Die Bordcrew weiß schon von dem bevorstehenden Absturz und möchte uns von innen mit Alkohol tränken, damit wir schneller verbrennen und keine Beweismittel zurückbleiben. Wir nehmen umgehend einen Wodka-Orange ein. Um es vorweg zunehmen: Wir werden uns mit weiteren zwei Bieren vergnügen. Nur für den Fall der Fälle.
21 Uhr: Das Essen wird serviert. Es gibt Hühnerbrust mit Nudeln. Wie immer ist das Flugzeugessen hervorragend. Ich lecke die Aluschüssel aus. Mit dem Bewusstsein, dass man nie weiß, was einen in Kuba erwartet. Mit der Ankündigung des Essens wird parallel und ganz beiläufig erwähnt, dass sich die Passagiere in der Condor-Comfort-Class über Languste mit schwarzen Bandnudeln und grünem Spargel freuen dürfen.
21.43 Uhr: Mein dritter Tomatensaft. Ich liebe Tomatensaft im Flugzeug. Komischerweise nur da. Das muss an der Luft liegen. Oder dem Druckunterschied. Oder dem Tomatensaft.
21.46 Uhr: Als Bordfilm wird „Ein Quantum Trost“ gezeigt. Ich bin gedanklich woanders und komme nicht hinterher.
23.00 Uhr: Das linke Triebwerk arbeitet einwandfrei.
01:00 Uhr: Ein Snack wird serviert. Laugenbrötchen mit Feinkostsalat. Wieder stürze ich mich darauf und wieder schmeckt es köstlich.
01:23 Uhr: Der zweite Bordfilm beginnt: „Darjeeling Company“ oder so ähnlich. Ein Film über drei Brüder die irgendwelche Probleme haben und auf Selbstfindungstrip nach Indien gehen. Naja...
01:50 Uhr: Kurz nach den Azoren bekomme ich ein wenig Hunger, kann allerdings meine Snickers nicht finden und beschließe ein wenig zu schlafen.
02:00 Uhr: Die Durchsage über die Zeitverschiebung wird getätigt. Es sind 6 Stunden Verschiebung. Das bekommt die Stewardess allerdings erst beim zweiten Anlauf hin, beim ersten sind es noch 5 Stunden. Naja kann ja mal passieren. Ab jetzt geht die Zeitrechnung kubanisch weiter.
21:00 Uhr: Laut Pilot erreichen wir gerade die Karibik. Ich schaue nach unten, mit besorgtem Blick an meinem Lieblingstriebwerk vorbei und sehe: Schwarz.
22:10 Uhr: Wir landen. Es ist witzig, wie dunkel eine Insel nachts sein kann.Bis auf die Lichter des Flughafens sieht man nicht viel. Gut, das wird dem Piloten die Orientierung erleichtern.
Als wir aus dem Flugzeug aussteigen erwarten uns angenehm wonnige 21 Grad und ein Schriftzug an der Flughafenmauer: „Socialismo o Muerte“ (Muerte = Tod). Kuba scheint uns recht tolerant zu empfangen. Über die Problemlosigkeit und Lockerheit der Einreise bin ich mehr als überrascht. Es dauert nicht lange, da haben wir unser Visum und sind nun offizielle Kuba-Touristen. Am Gepäckband kommen 4 unserer 5 Gepäckstücke relativ zügig. Das letzte lässt auf sich warten. Als ich nachfrage, wird mir mitgeteilt, dass mein Rucksack zur Zollkontrolle muss. So gehe ich mit zwei weiteren Glückspilzen zur Kontrolle. Die Zollbeamten sind sehr nett und ich muss nicht den ganzen rucksack auspacken. Sie interessieren sich für meine Schnorchelausrüstung und besonders für meinen 50-prozentigen Blutwurz. Ich biete Ihnen einen Schluck an, doch sie lehnen lachend ab. Wir plaudern ein wenig und dann bin ich entlassen. Draussen wartet schon Jesús, unser Kontaktmann. Alles läuft problemlos. Wir erreichen die Uni um 01: Uhr Ortszeit.

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