Freitag, 27. März 2009

Gibara und Auras, der Arsch Kubas.

Gibara ist eine Hafenstadt ohne Hafen, ca. 30 Kilometer nördlich von Holguín. Früher war sie durch ihren Hafen ein wichtiger Punkt für den Zuckerexport und dementsprechend wohlhabend. Besonders im ausgehenden 19. Jahrhundert entstanden viele Gebäude im Spanischen Kolonialstil mit großen hölzernen Türen, kleinen Säulen und Stuckverzierungen. 1958 wurde die Zugverbindung nach Holguin eingestellt und mit dem nachlassenden Zuckeranbau versank die Stadt in der Bedeutungslosigkeit. Die Auswirkungen dieses 50-jährigen Dornröschenschlafes wollten wir uns von Nahem ansehen. Wir zogen am Sonntag in Begleitung von Jesús zeitig am Morgen los (Wir starten eigentlich zu jedem Trip zeitig, da es nach 8 Uhr fast unmöglich ist, ein Transportmittel aus der Stadt zu bekommen.) Wir trafen uns sieben Uhr am Busbahnhof mit Jesús und stellten nach einigem Rumfragen fest, dass der Bus schon lange weg war. Nun gab es nur noch wenige Möglichkeiten: Trampen, was für uns Ausländer streng verboten ist (Der Fahrer könnte ein kapitalistisches Geschäft mit den Touristen machen) oder einen Lastwagen zu nehmen. Jesús fand heraus, dass eine Stunde später ein Lastwagen fuhr. Wir warteten also und bestiegen um viertel neun den LKW. Ein Ford F350 aus den späten fünfziger Jahren, der wie alle camiones (LKWs, die zum Personentransport eingesetzt werden) anstatt der Ladefläche eine selbstgebaute Kabine mit Luftschlitzen und Metallbänken oder angeschweißten Stühlen hat, in der ca. 50 Personen “Platz” finden. Leider fuhr der camion nur bis Velasco und wir stiegen auf halbem Wege aus und versuchten per Trampen eine Mitfahrgelegenheit zu finden. Es dauerte nicht lange bis ein camion hielt und uns bis nach Gibara fuhr. Dort schienen nicht nur die Uhren sondern auch die Menschen stehen geblieben zu sein. Eine romantische, aber total zerfallene Stadt, die von Hurrikan Ike schwer getroffen wurde. Schätzungsweise 30-40 Prozent der Häuser an der Küste hatten kein Dach mehr. Da es weder genug Geld, noch genug Dächer gibt, stehen diese Häuser nun eben leer. Gibara hat weder Industrie noch Tourismus und somit auch keinerlei Wirtschaft. Die Menschen hier leben vom illegalen Fischfang, Schiebereien und dem Verkauf kleiner Singvögel, die sie in der Region fangen und dort endemisch sind.
Nach einem herrlich frischen Krabbencocktail (10 Pesos) am höchsten Punkt der Stadt gingen wir in die Stadt hinunter. Eine Straße gesäumt von alten Kolonialbauten, die durch die Meeresluft zerfressen und morsch erschienen, führte in die Altstadt, die gleichzeitig die Neustadt und dir normale Stadt ist, da Altstadt hier eine Generalbezeichnung für die gesamte Stadt darstellt. In einer Cafeteria frühstückten wir – Eibrötchen. Wir schauten uns die “Highlights” der schlafenden Stadt an, in der kaum Menschen unterwegs waren. Da es in Gibara nicht viel gibt, kaum Läden und erst recht keinen Supermarkt gibt sind die Lebensumstände relativ schlecht. Alltägliche Sachen sind Luxus. Allerdings sind einige eigentliche Luxusgegenstände dort absolut normal. So haben Jesús und ich beispielsweise an einem Straßenstand am ehemaligen Hafen je einen Plastikbecher frische Austern in Tomatensauce mit Zitrone für je 10 Pesos gegessen. Ich will nicht sagen, dass sie mir geschmeckt haben, aber ich konnte mir diese Dekadenz einfach nicht entgehen lassen. Mein Hunger war geweckt und wir beschlossen in das einzige Restaurant zu gehen, das den Hurrikan überlebt hatte und in dem es möglich war, in Pesos zu bezahlen. Zufällig schien an diesem tag gerade eine Ladung frischer Doraden vom LKW gefallen zu sein, denn trotz Verbot stand fritierte Dorad auf dem Tagesangebot. Ich ließ mir die Möglichkeit nicht entgehen schließlich war es eine willkommene Gelegenheit den Trott aus Ei, Schwein, Huhn und Reis zu durchbrechen. Was soll ich sagen, es war sehr gut. Aber mit Dorade kann man eben nichts falsch machen. Wir beschlossen, Gibara relativ zeitig wieder zu verlassen, da es ziemlich unangenehm sein kann, am Arsch der Ewigkeit fest zu hängen und dort nicht wegzukommen. Um zwei kamen wir zum Busterminal und lasen, dass der Bus, den wir am Morgen noch verpasst hatten, erst um 16.30 Uhr zurückfuhr. Die Zwischenzeit schlief der Fahrer. Wir kamen zu der Übereinkunft, dass wir genauso zurückfahren, wie wir hingekommen sind. Wir würden einen camion nehmen, der uns bis zur Hälfte der Strecke bringt und von dort aus weitersehen. Der camion fuhr uns bis Auras. Dort war Endstation und wir gingen zum zentralen Sammelpunkt für Weiterreisende. Doch jeder LKW, der vorbeifuhr war entweder voll oder hielt einfach nicht an. Langsam sammelte sich eine Traube von ca. 50 wartenden Menschen. Wir warteten eine Stunde, zwei Stunden, drei Stunden. Die Minen schwärzten sich ein wenig. Ich wurde leicht an die Situation unseres Abfluges erinnerte. Gegen fünf Uhr sollte der Bus, der Gibara um 16.30 Uhr verlassen hatte und der uns zu spät war, Auras durchfahren. Alle hofften gespannt darauf, wenn der Bus kommen würde. Dann ein Schatten, der dem Bus durch die Kurve vorauseilte und ein großes Stöhnen der Erleichterung in der wartenden Menge. Dummerweise machte der Fahrer keinerlei Anstalten, langsamer zu werden. Dann sahen wir warum. Der Bus war mehr als voll und ein Stöhnen der Entsetzung brach aus der Masse hervor. Als wir Jesús fragend ansahen sagte er nur entsetzt: “Now we are fucked. This was our last opportunity.” Das beruhigte nicht gerade. Auch die Mitteilung, dass er noch nie so lange gewartet habe nicht. Während wir uns auf einen 15 Kilometer Fußmarsch in die einbrechende Dunkelheit einstellten (Es war inzwischen um sechs) blieb Jesús seelenruhig wie immer. Optimismus wird hier wahrscheinlich mit den Genen weitergegeben. Als es dann wirklich langsam finster wurde und Jesús die Geschichte erzählte, als er einmal in Bayamo im Busterminal schlafen musste, weil nichts mehr fuhr war unsere größte Hoffnung, dass sie uns nicht die Nieren herausschneiden, während wir in Auras, am Arsch von Kuba schlafen. Die kreisenden Geier über uns machten nicht mehr Hoffnung. Doch kreisende Geier gibt es auch am Himmel über Holguín viele. Ungefähr wie in Deutschland Greifvögel oder Krähen. Ich glaube es sind Bartgeier hier. Witzigerweise ist der Name der “Stadt” Auras ins Deutsche übersetzt....: Geier! Wie passend. Halb sieben bog aus heiterem Himmel ein klappriger Bus um die Ecke, der unplanmäßig die Strecke befuhr und rettete uns aus unserer aussichtslosen Lage. Noch nie habe ich mich so über den Bus gefreut. Jesús hatte wie so oft recht behalten. Praise to the lord. Praise to Jesus!

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